oder: Die Wahrheit über das Monster von Loch Ness

von Simone Ehrhardt

Der Wind pfiff scharf durchs Tal an diesem Septemberabend, die Bäume bogen sich und entließen erste verfärbte Blätter, die über den Fluss gewirbelt wurden und auf seinen Wellen ihren Weg zum Loch Ness fanden. Die Haustür der Deer Lodge wurde aufgerissen, im Flur tauchten mit zerzausten Haaren und vollgepackten Händen vier Schemen auf. Deirdre stürzte auf sie zu.
„Guten Abend, herzlich willkommen in Invermoriston!“
Die beiden Kinder ließen ihre Taschen zu Boden fallen, die Frau nickte und der Mann sah verständnislos drein, während er sich an einen Koffer klammerte.
„Sie sind Familie Mayer aus Deutschland?“ Deirdre bemühte sich, besonders langsam und deutlich zu sprechen und so gut wie möglich das rollende R wegzulassen. Dieses Mal schien man sie besser zu verstehen.
„Ja, sind wir“, brummte Herr Mayer. „Es war nicht leicht, das Haus zu finden.“ Ein leiser Vorwurf schwang mit.
„Das tut mir leid. Die Deer Lodge liegt zwar außerhalb, aber dafür haben wir hier einen herrlichen Ausblick auf den Fluss, absolute Ruhe und nichts als Natur um uns herum. Es wird Ihnen gefallen. Möchten Sie einen Tee?“ Deirdre deutete in das Wohnzimmer mit den großen, gemütlichen Sofas, die vor einem brennenden Kamin gruppiert waren. Auf einem niedrigen Tisch standen Tassen und ein Teller mit Keksen bereit. Die Augen der Kinder leuchteten auf, Frau Mayer machte eine halbe Drehung, doch ihr Mann meinte, dass sie lieber ihr Gepäck ins Zimmer bringen wollten. Deirdre ging voran, die breite Steintreppe hinauf, auf der ein dicker, dunkelblauer Läufer lag, der jedes Geräusch dämpfte, den imposanten Flur im ersten Stock entlang. Hier ging man auf dem blanken Stein, an den maisgelb tapezierten Wänden hingen Gemälde von Ahnen, Geweihe ehemaliger Jagdtrophäen und alte Waffen. In einem Erker konnte man in einer Glasvitrine eine originale Kriegsbekleidung der Macdonalds aus dem 18. Jahrhundert bewundern; der Tartankilt wies sogar Spuren häufigen Tragens und einiger Gefechte auf. Daneben lag auf einem samtenen Kissen eine Locke von Bonnie Prince Charlie, dem schottischen Nationalhelden, der im ganzen Land seine Haarpracht verteilt hatte. Deirdre öffnete die Tür zum hintersten Gästezimmer.
„Hier schlafen die Kinder.“ Es war ein gemütlich eingerichteter Raum mit zwei nebeneinander stehenden Einzelbetten. Deirdre führte die Familie zum nächsten Raum.
„Und hier ist das andere Zimmer.“ Es hatte ein Himmelbett, Tapeten mit Schottenkaro und flauschigen Teppichboden. Gegenüber dem Bett befand sich ein riesiger Kamin in der Wand. Das Fenster ging direkt zum Moriston hinaus, man konnte den Fluss stets leise rauschen hören. Ein alter Wandteppich hing über dem Betthaupt und gab dem Ganzen zusammen mit den Bettvorhängen etwas Majestätisches. Es war das schönste Gästezimmer im Bed & Breakfast Deer Lodge.
„Gibt es hier Geister?“, erkundigte sich der Junge, der ihnen ins Elternzimmer gefolgt war, forsch. Er war neun oder zehn Jahre alt; das Mädchen, das nun neben ihm auftauchte und Deirdre mit großen Augen ansah, etwas jünger.
„Allerdings“, entgegnete Deirdre geheimnisvoll. „Das ist ein sehr altes Haus mit einer langen Geschichte. Es wurde früher als Jagdhaus genutzt und vor rund 200 Jahren gab es hier einen schrecklichen Unfall. Eine Frau wurde bei der Jagd von ihrem Mann erschossen und niemand konnte sagen, ob es ein Unfall oder Mord war. Ihre Seele findet jedenfalls keine Ruhe und noch heute geht sie im Haus umher und versucht, ihren Mann zu finden, um die Wahrheit von ihm zu erfahren.“
Ein ärgerlicher Blick des Vaters veranlasste Deirdre dazu, den Kinder noch ein letztes Mal bedeutungsvoll zuzuzwinkern und die Familie sich selbst zu überlassen. Sie musste sich ohnehin fertig machen.

„Denkst du dran, morgen früh gleich als erstes die Kippers bei John zu holen?“, fragte Deirdre beiläufig, während sie sich ein Kopftuch umband und fest verknotete. Sie wollte bei diesem Sturm nicht ihre Frisur einbüßen.
„Als ob ich sie nicht jede Woche holen würde!“, erwiderte Douglas gereizt.
„Sicher, aber du musst darauf achten, dass sie frisch sind. Wenn John dir noch einmal alten Fisch andreht, hole ich ihn persönlich her, damit er die Sauerei wegmachen kann.“ Sie dachte mit Schaudern an den Zustand des einen Zimmers als die Gäste eine Vergiftung erwischt hatten. „Sag ihm das.“
„Bist du endlich fertig? Wir kommen noch zu spät.“ Douglas trommelte ungeduldig auf den Türrahmen. Deirdre nahm die Tasche vom Stuhl.
„Kann losgehen.“

Im Nebenzimmer des The Grog & Gruel in Fort William ging es heiß her. Es war spät, viel Bier und Whiskey waren geflossen, die Stimmen lauter und die Köpfe rot geworden.
„Wir müssen etwas unternehmen! Wenn wir noch länger warten, ist das das Ende fürs Touristengeschäft!“
„Aber die Idee ist hirnrissig! Früher mal war das möglich, aber heutzutage kommen die doch gleich mit ihren wissenschaftlichen Geräten und stellen alles in Frage.“
„Wäre das so schlimm? Davon lebt der Mythos doch überhaupt erst.“
„So ist er entstanden. Oder glaubt einer von euch, es kämen so viele Leute hierher, ohne die frühen Sichtungen von Nessie?“ Kurzes Schweigen, dann erneute hitzige Diskussion.
„Ich bin ganz seiner Meinung. Man kann so viele Gerüchte streuen, wie man will, aber wenn mal wieder jemand etwas sehen würde, hätte das einen ganz anderen Wert.“
„Nur glaubt das heutzutage niemand mehr. Ich sage euch, wir würden uns nur schaden, wenn wir jetzt eine neue Sichtung inszenierten!“
In die kurzzeitig einsetzende Stille, in der die trockenen Kehlen befeuchtet werden mussten, platzte ein Räuspern. Ein Dutzend Köpfe drehte sich überrascht zur Tür. Dort stand Herr Mayer und starrte sprachlos in die Runde.
„N’Abend“, stammelte er, als er sah, dass man ihn bemerkt hatte.
„Herr Mayer, wie lange stehen Sie da schon?“, schoss Deirdre in die Höhe.
„Weiß nicht. Ich hab das Klo gesucht und hab hier was über Nessie gehört.“
„Die Toilette ist hinter der übernächsten Tür“, sagte Alan Wallace ruhig. Herr Mayer verschwand. Plötzlich standen Douglas und Deirdre im Mittelpunkt.
„Ist das einer von euren?“, erkundigte sich Lorna Boyle. Deirdre nickte.
„Ihr wisst, was ihr zu tun habt, Douglas und Deirdre Macdonald!“ Die Stimme des Vorsitzenden Kyle Macfarlane donnerte durch den Raum, unheilverkündend. Die beiden so förmlich Angesprochenen sahen betreten von einem zum anderen.
„Ich glaube nicht, dass er etwas mitbekommen hat“, wagte Douglas leise zu widersprechen. „Er kann uns ja kaum verstehen.“
„Ihr kennt die Statuten“, war die einzige Antwort, die es gab.

„So ein Mist“, schimpfte Douglas, als sie im Auto saßen und heimwärts fuhren. „Musste das jetzt sein? Was hatte der da zu suchen? Wieso ist er überhaupt hergekommen?“ Er raufte sich sein dichtes schwarzes Haar, das Deirdre so liebte.
„Es lässt sich nicht mehr ändern, Doug. Lass uns lieber überlegen, wie wir es anstellen.“
„Es muss wie ein Unfall aussehen. Schon wieder einer in unserem Haus!“ Douglas bog in die schmale Straße ein, die zur Deer Lodge führte, und gab Gas. Der Weg war unbeleuchtet und sehr holprig, die Straße eng und nur hier und da mit Buchten zum Ausweichen ausgestattet, falls man auf Gegenverkehr traf.
„Wir können uns das nicht leisten! Wir werden unseren guten Ruf verlieren!“ Der schwarze Land Rover Discovery hüpfte die Straße entlang. Deirdre klammerte sich an den Griff über der Beifahrertür.
„Wenn du nicht langsamer fährst, hat sich das Problem bald erledigt!“
„Wer soll uns hier schon entgegenkommen?“ Kaum hatte er es ausgesprochen, schossen zwei Scheinwerfer hinter einer Kurve hervor und auf sie zu. Douglas riss das Lenkrad herum und zwang den Wagen halb in die Ausweichbucht. Ohne langsamer zu machen, lenkte er den Rover zurück auf die Straße, knapp hinter dem anderen Fahrzeug.
„Verdammt“, knurrte er mit zusammengepressten Zähnen.
„Wir können uns die Geistersache zunutze machen“, schlug Deirdre vor. „Die Kinder haben mich gefragt, ob es spukt. Eine gute Gelegenheit, das Programm abzuspielen.“
Douglas schwieg. Er hatte auch keine bessere Idee.

Die Uhr schlug zwei. Es war eine herrliche alte Standuhr aus Deirdres Familie und in Spuknächten wurde dafür gesorgt, dass der Gongschlag verstärkt und dadurch überall im Haus gut zu hören war. Die Gäste sollten schließlich wach sein, wenn die Vorstellung begann. Dem letzten dröhnenden Schlag folgte eine Stille von exakt einer Minute, dann ertönte ein Quietschen und ein dumpfer Knall, als habe jemand eine uralte, ewig nicht geölte Tür benutzt. Schwere Schritte hallten durch die Nacht. Ein leises Wimmern setzte ein, es wurde lauter, gequälter, schraubte sich in unangenehme, entsetzliche Höhe und gipfelte in einem langgezogenen Schrei. Ein Käuzchen rief unbeirrt, ein Wolf heulte, sobald Ruhe einsetzte. Erneute Pause. Dann ein Schuss, ein Schmerzensschrei, Todesröcheln.
„Mama, Mama“, drangen verängstigte Rufe aus dem Raum der beiden Kinder. Die Tür des schönsten Gästezimmers der Deer Lodge wurde vorsichtig geöffnet. Herr Mayer steckte die Nase heraus und sah angespannt den Flur hinunter. Er trug Boxershorts und ein hellblaues T-Shirt, seine nackten Füße steckten in braunen Cordpantoffeln. Douglas zog in seinem Versteck vorsichtig den Draht stramm, der vor der Türschwelle auf seinen Einsatz wartete. Die Rufe der Kinder veranlassten Herrn Mayer schließlich dazu, eilig in Richtung ihres Zimmers zu steuern, doch er kam nicht weit. Ächzend ging er zu Boden. Mit etwas Glück hätte er sich den Hals brechen können, doch er hatte nur ein paar Prellungen und rappelte sich erschrocken wieder auf. Douglas unterdrückte einen Fluch und zog den Draht ein. Das Geräusch von splitterndem Glas direkt auf der Treppe veranlasste Herrn Mayer, Schutz bei seinen Nachkommen zu suchen.
Douglas und Deirdre hatten die Situation genau beobachtet. Herr Mayer war alleine in Fort William gewesen und spät zurückgekommen, seinem schweren, ungleichmäßigen Schritt nach einigermaßen alkoholisiert. In den Zimmern von Frau Mayer und den Kindern war es schon dunkel gewesen; man konnte guten Mutes annehmen, dass Herr Mayer noch keine Gelegenheit gehabt hatte, irgendetwas zu erzählen, sondern todmüde ins Bett gefallen war. Es grenzte fast an ein Wunder, dass sie ihn mitten in der Nacht wach bekommen hatten.
Eine Stimme geisterte durch den Flur und über die Treppe, stahl sich in leere Zimmer, von wo sie durch Kamine und Luftschächte in nebenliegende Räume drang. „William? William?“ Die spukende Dame suchte nach ihrem Mann. “William, wo bist du?” Sie klang kalt und blass, hohl wie aus einer andere Welt. Sie seufzte, weinte, rief. Herr Mayer schob seinen Kopf auf den Flur heraus. Es wurde still. Er streckte die Hand aus und griff nach einem der Schwerter an der Wand. Douglas drückte einen Knopf. Ein Zischen und Funken, der Geruch nach verbranntem Fleisch waberte vorbei. Erleichtert stöhnte Douglas auf.
„Hallo? Hilfe!“ Herrn Mayers noch sehr lebendige Stimme holte Douglas auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Mann war noch immer am Leben!
„Hilfe! Hört mich jemand?“ Der Hausgast wartete eine Weile, doch als niemand kam, rappelte er sich auf und beschloss, nach den Verantwortlichen zu suchen. Er wankte nach dem heftigen Stromschlag, seine Hand war verbrannt, er musste Schmerzen haben. Herr Mayer tastete sich an der Wand entlang, hauptsächlich, um sich abzustützen, denn es gab eine schwache Nachtbeleuchtung im Haus. Er kam zur Treppe. Deirdre spannte Draht Nummer zwei. Mit heftigem Gepolter ging es abwärts für Herrn Mayer. Reglos blieb er nach der letzten Stufe liegen.
Douglas und Deirdre beugten sich gespannt über den deutschen Urlauber und beobachteten ihn.
„Ich glaube, er ist tot“, meinte Deirdre nach einiger Zeit. Herrn Mayers Augenlider begannen zu zucken.
„Verdammt“, murmelte Douglas. „Wie viele Leben hat dieser Mensch?“ Ein leises Stöhnen war die Antwort.
„Geh aus dem Weg, Schatz“, forderte Douglas seine Gattin auf. Deirdre trat gehorsam zurück. Von weit oben kam ein schweres Whiskeyfass gestürzt und zerschellte auf Herrn Mayers Schädel. Kein Mucks ertönte mehr.

Herrlicher Sonnenschein erfüllte das Tal des Moriston und strahlte in die Fenster der Deer Lodge. Es war eine unruhige Nacht gewesen, doch der Morgen war so frisch und klar, als wollte er einen Eindruck von Paradies verbreiten. Der Sturm hatte sich gelegt, die Vögel zwitscherten, der Fluss gluckerte leise und vergnügt. Es würde ein warmer Tag werden. Deirdre stand in der Küche und bereitete das Frühstück für die Mayers zu. Es war Sonntag und wie immer gab es an diesem Wochentag ein richtig schottisches Frühstück mit Porridge, Black Pudding, Würstchen, gebackenen Kartoffeln und Kippers. Lachlan klopfte an die Hintertür und begrüßte sie gut gelaunt. Nach einer Tasse Tee ging er nach vorne, um sich einzublasen. Sonntag war auch Dudelsacktag. Die Gäste der Deer Lodge wurden zum Frühstück mit landestypischer Musik verwöhnt. Vor allem die Amerikaner liebten das.
Es dauerte nicht mehr lange, bis die Mayers die Treppe hinunterkommen und das Unfallopfer finden würden. Sie würden schlussfolgern, dass er die Treppe hinuntergestürzt war, und endlich verstehen, wieso er nicht in seinem Bett gelegen hatte, als sie aufgewacht waren. Sie würden untröstlich, schockiert, verwirrt und am Ende sein, die Gastgeber würden entsetzt reagieren und wehklagen, wie es sich gehörte. Deirdre hoffte, dass sie trotzdem frühstücken würden. Es wäre doch ein Jammer, die frischen Kippers – und frisch waren sie in der Tat – verkommen zu lassen. Douglas kam herein und sah verstört aus.
„Er ist weg.“
„Was?“ Deirdre begriff nicht, was er meinte.
„Herr Mayer. Er liegt nicht mehr da. Ich bin gerade dort gewesen, um nachzusehen, ob wir etwas vergessen haben, aber er ist verschwunden.“
Deirdre musste sich setzen, Douglas lehnte mit finsterem Blick im Türrahmen.
„Du weißt, was das heißt: Wir haben versagt. Er hat trotz all unserer Bemühungen überlebt. Das hat vor ihm noch keiner geschafft.“
„Ich verstehe nicht, wie er das schaffen konnte“, wisperte Deirdre verzweifelt. „Wie ist das möglich?“ Von draußen ertönte die erste traditionelle Melodie aus Lachlans Repertoire. Deirdre und Douglas hatten nur wenig Zeit, sich zu fangen, denn schon bald hörten sie die Familie herunterkommen und ins Frühstückszimmer einlaufen. Die Macdonalds gingen schweren Herzens hinüber, um ihren Gästen einen guten Morgen zu wünschen und nach den Getränkewünschen zu fragen.
Die Mayers sahen aus, als hätten sie eine schwere Nacht gehabt und kaum geschlafen. Die Kinder hatten gespenstisch große Augen, die durch die dunklen Ringe noch betont wurden, und sahen ängstlich drein. Das Mädchen hing an der Hand seiner Mutter und lutschte am Daumen. Sie war doch sicherlich zu alt dafür, dachte Deirdre überrascht. Die Frau war sehr blass und unordentlich frisiert. Herr Mayer sah zum Fürchten aus. Er hatte Kratzer und Schürfwunden im Gesicht und auf den Armen, einen Schorf über dem Haaransatz, daneben eine gut sichtbare Beule und einen provisorischen Verband an der rechten Hand.
„Guten Morgen“, wünschte Deirdre und tat so, als bemerkte sie das alles nicht. Douglas rückte den Vieren die Stühle zurecht und schenkte Orangensaft ein.
„Haben Sie gut geschlafen?“
Sie wurde ungläubig angestarrt. Schließlich fragte Frau Mayer: „Haben Sie denn den Lärm nicht gehört?“
„Welchen Lärm?“, lächelte Douglas unschuldig, die Standardantwort in solchen Fällen.
„Wir reisen nach dem Frühstück ab“, verkündete Herr Mayer barsch.
„Schon?“ Deirdre brauchte ihre Enttäuschung nicht zu spielen. Sie hatte die Hoffnung auf ein glückliches Ende noch nicht gänzlich aufgegeben. Sie brauchten nur etwas mehr Zeit, einen halben Tag vielleicht.
In der Küche sah sie ihren Mann unglücklich an.
„Jetzt ist alles aus“, sagte sie.
„Ja“, stimmte Douglas zu. „Dann soll es wohl nicht sein.“ Er stellte die Teller auf ein Tablett. „Es ist vorbei.“
Während Douglas nebenan die Kippers servierte, starrte Deirdre aus dem Fenster. Vielleicht würden sie von hier weggehen müssen. Vielleicht würden sie aber auch nirgendwo mehr hingehen, außer unter die Erde. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihnen. Im Frühstückszimmer wurden Stimmen laut und Geschirr fiel klappernd zu Boden. Wunderbar, nun musste sie auch noch den Boden aufwischen und die Tischdecke waschen, vielleicht sogar die Stuhlkissen. Deirdre zögerte bedrückt. Wie würde ihr dieser Blick fehlen, der Fluss, die Highlands, die vielen Bäume, die Deer Lodge, die so einsam und ruhig mitten in der Natur lag. Der Loch Ness, der so nah war und schon lange ihr Leben bestimmte, von dem sie profitierten, so lange sie denken konnte. Nessie, das mythische Biest, das die Touristen anlockte, und über das zu wachen sie geschworen hatten. Schottland, Land ihrer Ahnen, in dem sie verwurzelt war. Eine Träne rollte Deirdres Wange hinunter. Sie wischte sie weg und schnappte sich einen Lappen.
Im Frühstückszimmer herrschte Aufruhr. Frau und Kinder standen um Herrn Mayer herum, der auf dem Boden lag und gerade ein letztes Zucken von sich gab. Er war blau angelaufen, hatte die Hände verkrampft um seinen Hals gelegt. Das Mädchen fing an zu weinen, der Junge rief nach seinem Vater, der jedoch nicht mehr antworten konnte. Der Junge rief weiter. Frau Mayer ging neben ihrem Gatten in die Knie, verbarg das Gesicht in den Händen und verfiel in hemmungsloses Schluchzen.
„Doug? Doug, komme her, schnell!“, rief Deirdre so laut sie konnte. Sekunden später stand er neben ihr, nahm das Bild in sich auf.
„Was ist passiert?“, fragte er bestürzt.
„Er hat von dem Fisch gegessen und plötzlich keine Luft mehr bekommen. Ich habe versucht, ihm zu helfen, doch es hat nichts genützt. Er ist an den Gräten erstickt“, erklärte die frisch gebackene Witwe mühsam und undeutlich, immer wieder unterbrochen von Weinkrämpfen. Deirdre und Douglas sahen sich bedeutungsvoll an.
„Ich rufe die Ambulanz“, erklärte Douglas und rannte hinaus, wohl wissend, dass niemand mehr Herrn Mayer ins Leben zurückholen konnte. Deirdre blieb bei den fassungslosen Angehörigen und versuchte, sie zu trösten. Die Klänge des Dudelsackes hatten noch nie so gut gepasst.